Verbot unstrukturierter Vollspaltbuchten ohne Funktionsbereich
Mit dem „Tierschutzpaket 2022“ wurde unter anderem § 18 Abs 2a TSchG[1] neu eingeführt und in ihm das Verbot der Haltung von Absetzferkeln, Zuchtläufern und Mastschweinen in unstrukturierten Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich. Vollspaltenböden müssen nach § 18 Abs 2a TSchG somit strukturiert sein. Ein Vollspaltboden weist dann Struktur auf, wenn der Haltungsbereich ausgerichtet nach dem Tierverhalten in verschiedene Funktionsbereiche getrennt ist. Struktur bedeutet also, dass eigene Bereiche für Fressen, Ruhen, Aktivität und Ausscheidung existieren.[2] Durch Hinweis auf das Verhaltensrepertoire von Hausschweinen ist darauf aufmerksam zu machen, dass die Tiere eine große „Abneigung gegen (art-)eigene Exkremente haben“ und aus diesem Grund viel Wert auf einen sauberen Liegebereich legen. Haben die Tiere die Wahl erfolgt die Absetzung von Kot und Harn „nur außerhalb des Liege- und Aufenthaltsbereiches.“[3] Bei unstrukturierten Vollspaltböden findet keinerlei Unterteilung in Funktionsbereiche statt. Das Platzangebot ist so gering (zB 0,70 m2 für ein Tier bis zu 110kg[4] – für die Gruppenhaltung von Mastschweinen in unstrukturierten Vollspaltbuchten), dass den Schweinen auch keinerlei Möglichkeit geboten wird, selbst eine Unterteilung in Funktionsbereiche vorzunehmen und sie gezwungen werden ihre Ausscheidungen im Liegebereich vorzunehmen.
Die mit dem „Tierschutzpaket 2022“ neu eingeführten unstrukturierten Vollspaltbuchten ermöglichen allerdings keine wirkliche Besserung des eben dargestellten Problems. Mit Umsetzung der neuen Gruppenhaltung wird das Platzangebot der einzelnen Tiere zwar erhöht, dies jedoch nur so geringfügig (zB neu: 0,80 m2 für ein Tier bis zu 110 kg[5]), dass eine effektive Einteilung der Buchten in einzelne Funktionsbereiche gar nicht möglich ist. Vollspaltbuchten bestehen grundsätzlich aus Betonspaltboden, der gänzlich perforiert ist. Auch der Boden im Liegebereich der Tiere kann nach wie vor perforiert sein, der Perforationsanteil hat bloß geringer zu sein (maximal 10%). Weist der Liegebereich einen maximalen Perforationsanteil von 10% auf, muss er nicht geschlossen sein. Bei einem nicht geschlossenen Liegebereich, der nicht vollständig vom Ausscheidungsbereich getrennt ist, können nach wie vor Schadgase (zB Ammoniak) von dem unter dem perforierten Boden liegenden Güllekanal aufsteigen und die Atemwege der Tiere reizen und zu Atemwegserkrankungen führen.[6]
Nach den Anforderungen des § 13 Abs 2 TSchG muss ua das Platzangebot, die Bewegungsfreiheit, die Bodenbeschaffenheit und die bauliche Ausstattung der Unterkünfte und Haltungsvorrichtungen unter Berücksichtigung der Art, des Alters und des Grades der Entwicklung, Anpassung und Domestikation der Tiere ihren physiologischen und ethologischen Bedürfnissen angemessen sein. Die Belastung mit Schadstoffen bei nicht geschlossenen Liegebereichen, Liegeflächen aus Betonspaltboden und das geringe Platzangebot gefährden nicht nur die Gesundheit der Tiere und gehen mit Verletzungsrisiken einher, sondern hindern sie an der Ausübung ihres natürlichen Verhaltens (strikte Trennung von Ausscheidungs- und Liegebereich).[7] Daher kann eine derartige durch die 1. Tierhaltungsverordnung ermöglichte Ausgestaltung strukturierter Vollspaltenbuchten nicht als angemessen zu den physiologischen und ethologischen Bedürfnissen der Schweine gewertet werden und führt zu keiner großen Besserung in puncto Tierwohl.
Übergangsfrist bis zur vollständigen Umsetzung des Verbots unstrukturierter Vollspaltbuchten
§ 18 Abs 2a TschG, also das Verbot unstrukturierter Vollspaltbuchten ohne Funktionsbereich, gilt seit dem 1.1.2023 für alle ab diesem Datum baurechtlich bewilligten neu gebauten oder freiwillig umgebauten Anlagen. Für vor dem 1.9.2022[8] bereits bestehende Anlagen, die im Einklang mit den bis dahin geltenden tierschutzrechtlichen Vorschriften errichtet wurden, sieht § 44 Abs 29 TSchG eine Übergangsfrist vor, wonach das Verbot der Haltung von Schweinen auf unstrukturierten Vollspaltbuchten erst ab dem 1.1.2040 gilt. Für diese Anlagen gilt also eine 17-jährige Übergangsfrist innerhalb derer Schweine weiterhin auf unstrukturierten Vollspaltböden gehalten werden dürfen.
Außerdem wurde durch die Novelle angeordnet, dass die Mindestanforderungen für die in § 13 Abs 2 TSchG genannten Haltungsbedingungen (zB Bodenbeschaffenheit, Platzangebot) bis zum 1.1.2040 an die Ergebnisse eines durchzuführenden Forschungsprojekts anzupassen sind. Mit diesem angeordneten Forschungsprojekt soll der Einsatz von Vollspaltböden im Hinblick auf die „ökonomischen, arbeitstechnischen und ökologischen Auswirkungen dieser Haltungssysteme unter Berücksichtigung des Verbots des routinemäßigen Schwanzkupierens und des Erfordernisses eines physisch und temperaturmäßig angenehmen Liegebereichs“ bewertet werden. Außerdem sollen „Anforderungen zur Strukturierung und Ausgestaltung der Buchten, sowie der Böden als Alternative zu den bestehenden Vollspaltenbuchten im Sinne des Tierwohls“ entwickelt werden. Es wird also explizit das Tierwohl als Gegenstand des Projekts angeführt, wobei allerdings zeigt die in § 44 Abs 30 gewählte Formulierung, dass hierbei ökonomischen Interessen besondere Bedeutung beigemessen wird.
Sobald dieses Forschungsprojekt abgeschlossen ist und die angepassten Mindestanforderungen in Kraft treten, gilt für Anlagen zur Schweinehaltung, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Mindestanforderungen den ab 1.1.2023 geltenden Haltungsanforderungen entsprechen (also über keine unstrukturierten Vollspaltbuchten verfügen), dass diese für weitere 23 Jahre ab der erstmaligen Inbetriebnahme weiterbetrieben werden dürfen, ohne dass die neuen Mindestanforderungen für sie gelten. Das heißt: treten die neuen Mindestanforderungen zum Beispiel am 1.1.2028 in Kraft und wurde am 31.12.2027 eine Anlage zur Schweinehaltung erstmals in Betrieb genommen und erfüllt die seit 1.1.2023 geltenden Standards (insbesondere keine unstrukturierten Vollspaltbuchten) kann sie noch bis 31.12.2050 ohne Beachtung der neuen Mindestanforderungen weiterbetrieben werden. Berücksichtigt man, dass die mit dem angeordneten Forschungsprojekt zu schaffenden Mindestanforderungen an die Haltung die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse darstellen sollen, um das Wohlbefinden bei der Haltung von Tieren nicht zu beeinträchtigen (§ 13 Abs 1 TSchG), scheint aus Sicht des Tierwohls sehr nachlässig, dass die neuen Mindestanforderungen durch die Übergangsfrist so lange hinausgezögert werden können.
[1] Tierschutzgesetz BGBl I 2004/118 idF BGBl I 2022/ 130.
[2] Binder, Das „Tierschutzpaket 2022“ – eine Mogelpackung, TiRuP 2022/A, 115 (134).
[3] Binder/Winkelmayer, Gutachterliche Stellungnahme zur Problematik des Schwanzkupierens bei Schweinen, TiRuP 2020/B, B-61 (B-64).
[4] Platzangebot je nach Gewicht des Tieres gegliedert in Anlage 5 Punkt 5.2 der 1.Tierhaltungsverordnung (BGBl II 2004/485 idF BGBl II 2022/296).
[5] Platzangebot für die neue Gruppenhaltung je nach Gewicht des Tieres gegliedert in Anlage 5 Punkt 5.2a der 1.Tierhaltungsverordnung.
[6] Binder/Winkelmayer, Gutachterliche Stellungnahme zur Problematik des Schwanzkupierens bei Schweinen, TiRuP 2020/B, B-61 (B-75); Binder, Das „Tierschutzpaket 2022“ – eine Mogelpackung, TiRuP 2022/A, 115 (134).
[7] Binder, Das „Tierschutzpaket 2022“ – eine Mogelpackung, TiRuP 2022/A, 115 (134).
[8] Inkrafttreten des Tierschutzpakets 2022.