Zum besseren Verständnis der folgenden Stellungnahme empfehlen wir zuvor folgenden Beitrag zu lesen: https://www.oejgt.at/tierschutzpaket-2022-verankerung-des-verbots-unstrukturierter-vollspaltbuchten-ohne-funktionsbereich-in-der-schweinehaltung/
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs – G 193/2023
Der VfGH erkannte über Antrag der burgenländischen Landesregierung und führte aus, dass § 44 Abs 29, 30, 31 und 32 TSchG[1] (also die Regelungen zu den Übergangsfristen und dem Forschungsprojekt) als verfassungswidrig aufgehoben werden. In dem Erkenntnis betont der VfGH erneut[2], dass Tierschutz ein anerkanntes und bedeutsames öffentliches Interesse ist.[3] Bei den durch das Tierschutzpaket 2022 betroffenen Maßnahmen zum Verbot der Haltung von Schweinen auf unstrukturierten Vollspaltbuchten ist das öffentliche Interesse am Tierschutz maßgeblich und mit den Interessen der Planungssicherheit und des Investitionsschutzes der betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe abzuwägen ist. Für einen verfassungsrechtlich gebotenen Interessensausgleich kann eine Übergangsbestimmung geeignet sein.[4]Durch die Normierung des Verbots in § 18 Abs 2a TSchG hat der Gesetzgeber eine Wertung darüber getroffen, dass die Haltung von Schweinen in unstrukturierten Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Tierschutzes (und der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse) verboten sein soll. Die Festlegung der Übergangsfrist relativiert das verankerte Verbot und soll dem „vorübergehenden Schutz von bestehenden Betrieben in der Schweinehaltung dienen, die im Vertrauen auf den Bestand der Rechtslage disponiert haben und ihre Absetzferkel, Zuchtläufer und Mastschweine in unstrukturierten Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich halten.“ Ein den Umständen angemessenes Übergangsrecht kann verfassungsrechtlich geboten sein, „darf aber nicht zu unsachlichen Unterscheidungen führen und muss insbesondere auch bezogen auf die Dauer sachlich gerechtfertigt sein“. Hier liegt auch der springende Punkt des Erkenntnisses: da der Gesetzgeber selbst eine Wertung im Interesse des Tierschutzes getroffen hat, ist es sachlich nicht gerechtfertigt durch die Festlegung einer 17-jährigen Übergangsfrist das Interesse des Investitionsschutzes in den Vordergrund zu stellen. Das Interesse des Tierschutzes hätte bei der Abwägung zur Festlegung der Dauer der Übergangsfrist adäquat berücksichtigt werden müssen.[5]
Außerdem stellte der VfGH fest, dass durch die Regelung eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen den Betreibern einer neuen Haltungsanlage und jenen einer bestehenden Haltungsanlage für einen übermäßig langen Zeitraum geschaffen wurde. Betreiber von Schweinehaltungsanlagen, die einen Betrieb ab 1.1.2023 neu errichten oder umbauen, werden durch die Regelung in § 44 Abs 29 TSchG höhere Markteintrittskosten auferlegt, als jenen Betreibern bereits davor bestehender/bzw nicht umgebauter Anlagen. Damit herrscht ein ungleicher Wettbewerb, der durch die lange Übergangsfrist für 17 Jahre aufrechterhalten wird. Diese lange Dauer ist laut dem VfGH überschießend lang und sachlich nicht gerechtfertigt. Daher war § 44 Abs 29 TSchG als verfassungswidrig aufzuheben. Die § 44 Abs 30, 31 und 32 stehen mit dem Abs 29 in einem Untrennbaren Zusammenhang und sind daher ebenfalls als verfassungswidrig aufzuheben.[6]
Die Aufhebung der langen Übergangsfrist ist aus Tierschutzsicht sehr zu begrüßen, da Verbesserungen der Haltungsbedingungen notwendig sind, um das Leid der Schweine zu reduzieren und ihr Leben zu verbessern. Da Veränderungen zum Wohle der Tiere leider nur in sehr kleinen Schritten erfolgen, ist es umso wichtiger, dass nicht für jeden kleinen Schritt 17-jährige Übergangsfristen festgelegt werden. Denn dadurch wird dem auch vom Gesetzgeber erklärten Ziel der Steigerung des Tierwohls gewiss nicht entsprochen. Ebenfalls positiv anzumerken ist, dass der VfGH in dem Erkenntnis erneut bestätigt hat, dass es sich beim Tierschutz um ein anerkanntes und bedeutsames öffentliches Interesse handelt.
Die burgenländische Landesregierung ficht in ihrem Antrag auch einzelne Haltungsbedingungen des Anhangs 5 der 1.Tierhaltungsverordnung an. Die Zulässigkeit perforierter Böden insbesondere ohne das gleichzeitige Erfordernis einer hinreichenden Einstreu verstoße gegen § 2 BVG Nachhaltigkeit[7] und Art. 7 B-VG[8] sowie gegen näher bezeichnete Bestimmungen (insbesondere § 13) des TSchG. Die Bedenken der Landesregierung richten sich insbesondere gegen die in Anlage 5 Punkt 2.2.2. verankerte Zulässigkeit von perforierten Böden, die fehlende Verpflichtung zum Vorhandensein einer trockenen ausreichend dimensionierten Liegefläche für Buchten mit durchgehend perforierten Böden sowie gegen die in Punkt 5.2a Z 5 vorgesehenen Platzvorgaben (zB 0,65 m2 für ein Schwein bis zu 85kg Körpergewicht) – kombiniert jeweils mit dem Fehlen einer hinreichenden Einstreu von Stroh.[9]
Zu bedauern ist, dass es angesichts dieses Anfechtungsgegenstand zu keiner inhaltlichen Behandlung durch den VfGH gekommen ist. Der Antrag wurde im Hinblick auf die Bestimmungen der 1.Tierhaltungsverordnung wegen zu geringen Anfechtungsumfangs zur Gänze als unzulässig zurückgewiesen. Die Hürde für eine inhaltliche Behandlung durch den VfGH ist sehr hoch, wie auch die Zurückweisungen im Zusammenhang mit den Klimaklagen in der vergangenen Zeit gezeigt haben.[10]
Gerade im Hinblick auf die Bestimmungen zur Haltung von Schweinen auf perforierten Böden und die Regelungen zum Platzbedarf (zB 1. Tierhaltungsverordnung Anlage 5 Punkt 2.2.1, 2.2.2 oder Punkt 5.2.a) erscheint sehr fraglich, ob diese Bestimmungen im Verhältnis zu § 13 Abs 1 und 2 und § 16 Abs 1 und 2 TSchG tatsächlich als gesetzmäßig gewertet werden können. § 13 Abs 2 TSchG verlangt, dass Tiere so zu halten sind, dass das Platzangebot, die Bewegungsfreiheit, die Bodenbeschaffenheit, die bauliche Ausstattung der Unterkünfte und Haltungsvorrichtungen, das Klima, insbesondere Licht und Temperatur, die Betreuung und Ernährung sowie die Möglichkeit zu Sozialkontakt unter Berücksichtigung der Art, des Alters und des Grades der Entwicklung, Anpassung und Domestikation der Tiere ihren physiologischen und ethologischen Bedürfnissen angemessen sind. Aus § 16 Abs 1 und 2 TSchG ergibt sich, dass die Bewegungsfreiheit eines Tieres nicht so eingeschränkt sein darf, dass dem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden oder es in schwere Angst versetzt wird und das Tier über einen Platz verfügen muss, der seinen physiologischen und ethologischen Bedürfnissen angemessen ist.
Nach den angeführten Bestimmungen der 1. Tierhaltungsverordnung können Schweine[11] auf Betonspaltböden ohne Einstreu gehalten werden, können, solange der Liegebereich nicht geschlossen vom restlichen perforierten Buchtenbereich ist, selbst bei strukturierten Vollspaltbuchten durch vom darunterliegenden Güllekanal aufsteigende Schadstoffe belastet werden und haben maximal 1,20 m2 Platz pro Tier (bei einem Körpergewicht von über 110 kg). Wissenschaftliche Studien zeigen, dass 92% der auf Vollspaltböden gehaltenen Schweine unter ständigen Gelenksschmerzen leiden und doppelt so häufig Verletzungen am Körper als bei Strohhaltung aufweisen[12]. Außerdem erhöht zu wenig uneingeschränkte Bodenfläche pro Tier und räumliche Enge das Risiko des Auftretens der Verhaltensstörung des Schwanzbeißens und somit das Verletzungsrisiko der Tiere.[13] Gerade weil Schweine sehr neugierige und intelligente Tiere sind, erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass eine Haltung, die den genannten Mindestanforderungen der 1. Tierhaltungsverordnung entspricht, den physiologischen und ethologischen Bedürfnissen angemessen ist. Darüber hinaus zeigt sich, dass eine Haltung entsprechend den Regelungen zum Platzangebot häufig zu Verletzungen und Gesundheitsgefährdungen der Tiere führt.
[1] Tierschutzgesetz BGBl I 2004/118 idF BGBl I 2022/ 130.
[2] So wie bereits in VfSlg 15394/1998 oder VfSlg 19568/2011
[3] VfGH G 193/2023 Rz 56.
[4] VfGH G 193/2023 Rz 55.
[5] VfGH G 193/2023 Rz 58-61, 64.
[6] VfGH G 193/2023 Rz 67, 69-71, 73.
[7] BVG Nachhaltigkeit BGBl I 2013/111 idF BGBL I 2019/82.
[8] Bundes-Verfassungsgesetz BGBl 1930/1 idF BGBl I 2022/222.
[9] VfGH G 193/2023 Rz 18, 24.
[10] Siehe zB Gstöttner/Hahnenkamp, Bleibt die Antragslegitimation Torhüter für Klimaklagen?, Juridikum 3/2023, 277.
[11] Absetzferkel, Mastschweine und Zuchtläufer.
[12] VGT, Ist ein Vollspaltboden Tierquälerei?, vgt.at 23.5.2019, https://vgt.at/presse/news/2019/news20190523fg.php (18.1.2024).
[13] Binder/Winkelmayer, Gutachterliche Stellungnahme zur Problematik des Schwanzkupierens bei Schweinen, TiRuP 2020/B, B-61 (B-74).